RAUM 4
Brechts Leben im Exil
Alles über Brechts Leben während seiner Zeit im Exil und seiner Rückkehr.
Als die Nazis kamen, ging er. Er verließ Deutschland am Tag des Reichstagsbrands, ging erst nach Prag, dann nach Österreich und begann ein Wanderleben erst durch Europa und schließlich um den ganzen Globus herum. Er wechselte die Länder „öfter als seine Schuhe“, hat er einmal gesagt, und da ist was dran.
Sein Weg führte ihn zunächst erstmal nach Dänemark, dort fand er Zuflucht unter dem dänischen Strohdach, aber als sich die Deutschen dann näherten und Dänemark besetzt wurde, ging es nach Schweden und von dort weiter nach Finnland. Als dann auch da der Einmarsch der Deutschen drohte, ging es über Moskau und Wladiwostok in die USA. Und dort eigentlich direkt in den Himmel, der für viele aber eine Hölle war - nämlich nach Kalifornien. In Kalifornien hatte er wohl eigene Exilerfahrungen gemacht: er musste lernen, dass die Welt gewissermaßen auf den Kopf gestellt war. Früher hatte er gesessen und andere vor ihm gestanden und in Amerika stand er vor anderen; wurde nicht abgefertigt nach der Reihe, sondern musste warten, bis andere abgefertigt waren. Eine völlige Umkehrung, auch den eigenen Empfindungen, der eigenen Weltvorstellungen, er war plötzlich ein ‚Nobody‘.
Amerika: Land des ewigen Frühlings
Er versuchte, Fuß zu fassen in der amerikanischen Filmindustrie, das war außerordentlich schwierig, denn man interessierte sich nicht dafür, was die Leute in Deutschland gewesen waren, sondern für das, was sie dort in Amerika konnten. Er hatte sein Dasein in Amerika einmal als „Goldgräbertum“ bezeichnet. Er war unterwegs in Hollywood und als er Eisler dort traf, sagte dieser: „Das ist ein Land des ‚ewigen Frühlings‘. In diesem Land müsste man eigentlich Elegien schreiben“, und Brecht schrieb „Hollywoodelegien“ - wo auch die Welt auf den Kopf gestellt ist. Ein Land des ewigen Frühlings, in dem er unzufrieden war und das sah, was die Amerikaner oft auch sahen, die Häuser anbauten an Garagen und nichts anderes. Und er vermutete - wie so manche - an jedem Ölbäumchen ein Preisschild, weil er sah: alles ist verkäuflich, alles ist käuflich, und Geld ist die einzige Macht, die dort zählt. „Hollywoodelegien“ sind sein berühmtestes Exilwerk gewesen.
Er hat aber vorher noch, als er in Dänemark und Finnland war, die „Flüchtlingsgespräche“ geschrieben: eine sarkastische Abrechnung mit den Nazis, auch ein Stück eigener Biographie. Sarkastisch, weil er schrieb, das edelste am Menschen ist eigentlich nicht der Mensch, sondern ist der Pass. So ein Mensch kommt einfach zustande, aber an einen Pass kommt man ungeheuer schwer. Dann hat er sich mit den Nazis auseinandergesetzt und hat sich in zwei Figuren auf das bezogen, was in Deutschland war, auf die angebliche Ordnung, die die Nazis schaffen wollten und in Wirklichkeit eine Zerstörung allen humanen Lebens war, was man bis dahin gekannt hatte.
Zurück in Europa
Brecht und das Exil: er hatte einen langen Weg genommen, er geht fast um den ganzen Globus herum. Am Schluss ist er aus Amerika abgereist, da er nach seinem Verhör in New York immer im Verdacht stand, ein Mitglied der kommunistischen Partei zu sein. Zurück in Europa hatte er es schwer, wieder Fuß zu fassen. Er ging erst nach Zürich, aber in der Schweiz war er nicht sehr lange. In Österreich hoffte er, sesshaft zu werden, weil seine Frau einen österreichischen Pass besaß und ging dann nach Berlin zurück.
Einmal Exil, immer Exil
Was begann, war eigentlich ein zweites Exil. Heinrich Mann hat einmal gesagt: „Einmal Exil, immer Exil“, und für Brecht gilt das auch. Es gibt ein Gedicht von ihm, in dem er sagt: „Der Koffer liegt immer noch oben auf dem Schrank“, und dann gibt es ein anderes, da sitzt er am Straßenrand; er weiß nicht woher er kommt oder wohin er will, nur, dass er unterwegs ist. Und dieses Dasein eines Flüchtlings, der innerlich immer Flüchtling geblieben ist, setzt sich auch in seiner Theaterarbeit fort. Seine Zeit am Berliner Theater war wie auf einer Insel - wenn man so sagen darf. Er hat „Buckower Elegien“ geschrieben, die auch davon sprechen, dass das Exil weiterging. Exil bedeutet, irgendwo mit sich selbst nicht mehr ganz im Reinen zu sein. Die eigene Identität ist eigentlich verloren gegangen, und Brecht hat sich in die Geschichte zurückversetzt und gesagt: „Mein Schicksal ist das, das Homer schon hatte. Das antike Dichter hatten, das Heine hatte, und ich ‚Brecht‘ floh unter das dänische Strohdach“. Er hat sich aufs Neue sich selbst gegenüber legitimiert, durch die große Reihe der Verfolgten, die vor ihm schon das gleiche Schicksal erlebt hatten wie er selbst: das Exil.
Internationale Literatur
Man darf nicht vergessen, Brecht ist im Exil ungeheuer produktiv gewesen. Er hat sehr viel geschrieben: die großen Dramen, mit Ausnahme der Stücke der zwanziger Jahre, sind im Exil entstanden. Er wurde auch aufgeführt in New York, London, Zürich, aber es waren natürlich Randerscheinungen innerhalb der literarischen Welt. Er hat veröffentlicht in verschiedenen internationalen Zeitschriften (hier im Zimmer liegen einige ausgestellt), das waren moskauer Zeitschriften, „Die internationale Literatur“ und „Das Wort“ - das war eine Zeitschrift, die auch in New York erschienen ist – es waren auch Zeitschriften, die in Zürich erschienen. Er blieb durchaus präsent, war also nicht aus der Welt herausgefallen. Er ist in dieser Zeit des Exils, in Los Angeles literarisch sozusagen in der Welt ‚herumgekommen‘. Diese Präsenz ist eigentlich auch ein Zeichen dafür, dass er nicht unterdrückt worden ist in den Ländern, in denen er heimisch war, sondern sich durchaus zu Wort melden konnte. Er hat bittere Satiren über Hitler und Göring geschrieben und versucht, die Welt, die für ihn auf den Kopf gestellt war, wieder auf die Füße zu richten und ist dabei trotzdem immer er selbst geblieben.
Lebensstil
Er war nicht schlecht untergebracht in den Häusern, in denen er Zuflucht fand; in Dänemark hat er relativ angenehm gewohnt, in Moskau war natürlich kein großer Aufenthaltsraum für ihn bereit, Moskau war eine Durchgangsstation. Da hat er seine Freundin und seine Mitdichterin Margarete Steffin verloren. In Amerika, Los Angeles besaß er ein recht respektables Haus (man konnte es vor ein paar Jahren noch sehen). Es ging ihm nicht wie anderen, die völlig verarmt waren und auf den Straßen ihre eigenen Bücher verkaufen mussten, um irgendetwas zum Überleben zu bekommen. Wie er sich durchgebracht hat, wissen wir im Einzelnen nicht, aber wir wissen, er war ein schwäbisches Schlitzohr. Und als solches hat er es immer verstanden, sich seinen Weg zu bahnen durch die Welt des Exils. Aber Amerika war für ihn eigentlich ein Schrecken, und er war froh, als er dieses Land wieder verlassen konnte. Es war nicht Europa und nicht die Welt, in der er groß geworden war. Sein Weg durch das Exil war ein Weg durch viele Länder, durch viele Stationen; er hat viel verloren und auch einiges dazugewonnen. Was er nicht aufgegeben hat, ist seine persönliche Freiheit. Und er hat mit schwäbischem Witz seine politischen Verfolger in Amerika kleingekriegt. In der Zeit der McCarthy-Ära, als die Kommunistenjagd auf alle Leute losging, die von auswärts kamen – auf Brecht natürlich auch, da hat er sich mit List und Tücke gewehrt und ist davongekommen.
Schlusswort
„Brecht im Exil“ ist ein hochinteressantes Thema mit vielen Facetten. Man kann nur hoffen, dass diese Zeit, in der er nicht in Deutschland war, in Deutschland nicht verloren gehen wird. Es ist eine wichtige Epoche seines Lebens, und ich meine fast, dass sie ihn ungeheuer produktiv gemacht hat. Natürlich kann man nicht fragen: „Wie wäre es gewesen, wenn er in Deutschland geblieben wäre?“. Er wäre natürlich am Theater geblieben, und Berlin wäre eine wunderbare Bühne für ihn gewesen, aber das Exil hat ja nicht nur ihn, sondern auch manch andere härter gemacht: die Nazis wollten ihn kleinkriegen, und es ist ihnen nicht gelungen. „Einmal Exil, immer Exil“. Man kann das vielleicht verstehen, wenn man sich erinnert, was an Exilschicksalen nach der Zeit Brechts noch über Europa hereingebrochen ist. Aber das Exil, das ihn um die Welt jagte, war doch ein ganz besonderes und er verstand es, daraus das Beste zu machen. Und seine Werke aus dieser Zeit sind Werke, die überleben werden. In dieser Zeit entstand etwa „Puntila“ - eine der letzten großen Dramen. Da spielen zwei Figuren eine Rolle, die eigentlich die beiden Seiten einer gespaltenen Existenz sind. Und dieses Gespaltensein, das „Ich“ das hier ist und da ist, das hier anerkannt wird und dort nicht, ist eine Erfahrung, die eigentlich jeder gemacht hat, der ins Exil gehen musste.